Textbeitrag: Katalog “Kunst der Begegnung. Ich/Gegenüber”. Sakral- und Gegenwartskunst.
Mai 2000
Der digitale Schein ist das Licht, das für uns die Nacht der gähnenden Leere um uns herum und in uns erleuchtet. Wir selbst sind dann die Scheinwerfer, die die alternativen Welten gegen das Nichts und in das Nichts hinein entwerfen.
Vilem Flusser
Melitta Moschik stellt einem Altarbild aus der Stiftskirche in Ossiach mit dem Thema der Aussendung des Heiligen Geistes in einem assoziativen Verhältnis eine interaktive Computerinstallation gegenüber.
Die Künstlerin arbeitet mit disparaten artifiziellen Mitteln. Auf einem traditionellen Ausstellungssockel, dessen Einsatz immer Besonderheit suggeriert, präsentiert sie, in fast schon etwas antiquierter Weise, als handle es sich um ein kostbares, sakrales Stück, einen modernen, alltäglichen Gebrauchsgegenstand, die technische Infrastruktur der Installation, einen Laptop mit Internetanschluss. Als Bildschirmschoner fungiert eine von Melitta Moschik erstellte Computeranimation: eine weiße Taube fliegt durch einen virtuellen, dunklen Raum, den sie durch ihre Strahlkraft erleuchtet. Das formale Konstruktionsmittel, das die spezielle Wahrnehmung des Hintergrunds am Bildschirm als unendliches räumliches Gefüge gewährleistet, ist eine rasterartige Netzstruktur. Von ihr hebt sich die Taube durch eine besonders naturalistische, substanzielle, körperhafte Darstellung in ihrer Flugbewegung ab. Das dreidimensionale Bauschema des imaginären Raumes am Monitor entspricht der Konstruktion der Scheinarchitektur des Werks von Ossiach und der Bildschirm als Repräsentationsfläche einer virtuellen Welt dem Tafelbild- gedanklich sind so beide Medien miteinander im Ausstellungsraum vernetzt. Durch die Interaktion der BesucherInnen am Laptop kann die Animation unterbrochen werden und der Einstieg in die Welt des Internets ist möglich. Wie die Taube auf ihrem simulierten Flug, können die BenutzerInnen, indem sie beliebige Fenster öffnen, frei im virtuellen Raum unterwegs sein. Die medialen Schritte im virtuellen Raum eröffnen dem Menschen neue Dimensionen und Formen der Begegnung. Die Welt stellt sich uns zu einer Oberfläche transformiert dar, der Klick auf die Mouse öffnet alternative Welten. Die digitalen Illusionen bilden eine neue Realität, in die es einzutreten gilt. (Melitta Moschik) Die Aktivitäten der RezipientInnen am Computer, der Input ihrer geistigen Potenz, ist Hauptteil des künstlerischen Konzepts; die Art der Aktivität, Qualität und Quantität, sind keine Kriterien, Ziele sind nicht vorgegeben, eventuelle Ergebnisse werden nicht erwartet.
Melitta Moschik isoliert die Gestalt der Taube aus dem Zusammenhang des Pfingstbildes und transferiert sie mitsamt ihrem Symbolgehalt als Sinnbild des Heiligen Geistes, des schöpferischen Geistes Gottes, und als Symbol der Weisheit und Wahrheit, als zentrales inhaltliches Element in die Computerarbeit. Auch in der christlichen Kunst kommt die Taube als vereinzeltes Symbol vor: z. B. als skulpturaler Bestandteil der Kirchenkanzel, dem Ort der Predigt, von dem aus Gottes Wort verkündet wird, das Wahrheit und Weisheit lehrt. Oder als Attribut der Kirchenlehrer, denen die Taube Zeichen der göttlichen Inspiration ist. Das Bild der Taube, die den Geist Gottes meint, entstammt der Bibel: Als aber Jesus getauft war, stieg er sogleich aus dem Wasser, und siehe, die Himmel taten sich auf, und er sah den Geist Gottes herab- schweben wie eine Taube und auf ihn kommen. (Mt 3, 16) Die Strahlen, von denen die Taube in den Darstellungen umgeben ist, beschreiben ihre Funktion als Lichtträger. Das Licht ist das Immaterielle, das im Gegensatz zum Materiellen, Irdischen steht, es ist die Erscheinungsform des Göttlichen. […] Gott ist Licht, und Finsternis gibt es keine in ihm.(I Johannesbrief 1, 5) Und Jesus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir folgt wird nimmermehr in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben. (Joh 8, 12) Bei der Taufe ergießt sich das Licht in die Seele der Katechumenen, deshalb nennt man die Taufe Erleuchtung.
Der moderne Mensch des Informationszeitalters findet, laut Moschik, seine Erleuchtung im Schein des Monitors, er ist der zeitgenössische Hoffnungsstrahl. Die Taube, die den Heilige Geist verheißt, schwebt auf der Bildschirmoberfläche so wie der Geist Gottes im Schöpfungs- bericht über den Urwassern schwebt (Gn 1, 2). Der digitale Schein ist zugleich das Licht des Monitors, als erstrahlendes physikalisches Phänomen Licht aber auch als inhaltliche (erleuchtende) Quelle, und der Schein im Sinne von Anschein und Täuschung. Trügt der Schein? Der virtuelle Raum als simulierte Realität, als medial konstruierte Wirklichkeit steht (aus einem konservativen Blickwinkel gesehen) dem Realraum, der konkrete Realität ist, als Fiktion, als Utopie, als Nicht-Ort, gegenüber. Die Erleuchtung, die der Mensch dort findet, hat die Erleuchtung im christlichen Sinn abgelöst. Wenn Jakob aufgefordert wird kehre um und ergreife sie; in ihrem Lichte wandle zur Erleuchtung (Bar 4,2), so ist die Weisheit, das Buch der Gebote Gottes und das Gesetz, das gilt in Ewigkeit (Bar 4, 1) gemeint – Gesetze, die das direkte Zusammenleben der Menschen in der zivilisierten Gesellschaft bestimmen. Heute ergreift man die Mouse des Computers und findet im Öffnen eines Fensters eine Alternative, eine Substitution, eine andere Realität. Ehedem erleuchtete das sakrale Licht der diaphanen Glasfenster gotischer Kathedralen den Gläubigen, der somit in die Welt Gottes eintrat, heute erfasst den Suchenden der digitale Schein einer Welt, die dieser (scheinbar!) selbst autonom im Netz findet und konstruiert. Moschik konstatiert, dass im virtuellen Raum neue Qualitäten des Erlebens geboten werden, die Jünger Jesu wurden am Pfingsttag mit Heiligem Geist erfüllt und begannen mit anderen Zungen zu reden, wie der Geist ihnen zu sprechen verleiht (Apg 2,4) und sie konnten mit allen Völkern kommunizieren, den Surfer lässt die virtuelle Verheißung, mit der ganzen Welt verbunden zu sein, in den endlosen Datenstrom eintauchen. Und das ist für ihn zugleich die Erfüllung, die Erleuchtung. Der Weg ist das Ziel. Die innere Leere, das grundsätzliche Daseinsgefühl des modernen Menschen wird ausgefüllt vom Strom der Erscheinungen. (Moschik)
Dabei wird der Mensch selbst – indem er sich datengenerierend einbringt und Teil eines globalen digitalen Informationskörpers wird – auf den Geist reduziert, der, auf seiner Reise durch Zeit und Raum, nicht mehr einem Individuum und übergeordneten Kollektiv außerhalb der virtuellen Welt zugehörig ist. Mit der Loslösung vom organischen Körper wird die Ewigkeit im Jenseits der Schnittstelle der Realitäten, im digitalen Datenraum erreicht.