Katalogtext zur Personalausstellung:
“Melitta Moschik USER LOCATION”
März 1999
In der japanischen Philosophie des Hausbaus, Feng Shui, wird eine Wand, der man gegenübertritt, als Gegner empfunden. Daher wird empfohlen, diese Wand mit einem Spiegel zu verkleiden, damit man nicht der Wand, sondern sich selbst gegenübertritt. Die Wand wird nicht mehr gesehen und der Spiegel wirkt wie eine Türe, wie ein Loch in der Wand, der die Blockade der Wand scheinbar aufhebt. Der Spiegel hat somit nicht nur die Schutzfunktion, den realen Raum durch einen virtuellen Raum zu erweitern, die Enge des realen Raumes durch Scheinarchitektur zu überwinden, also einen lokalen Raum in einen telematischen Raum zu verwandeln, sondern auch die Funktion, das Subjekt selbst zu schützen und im Raum zu verankern. Indem das Subjekt nicht dem Raum, sondern sich selbst begegnet, verliert der Raum an Dominanz und gewinnt das Subjekt an Stabilität. Der Raum wird im Spiegel zu Schaum. Das Subjekt erhält die Illusion, Herr über diesen Schaum zu sein. In aktueller Terminologie: das Subjekt wird zum Benützer des Raumes, zum User einer Location. Diese Probleme der Lokalisierung und des Verlustes der Lokalisation, der Orientierung und des Verschwindens des Ortes, der Suche nach Orten, Orientierung und Lokalisierung nicht nur des Raumes, sondern auch des Subjektes wird im Informationsraum dringender als im realen Raum. Der Gebrauch des virtuellen Raumes, eben weil er unendlich ist und nicht real, verlangt mehr denn je nach einer Technik der Navigation, um sich in ihm zurechtzufinden.
Die Medien verstärken Probleme, die in der Kunstgeschichte schon lange angelegt sind, z.B. das Spiel der barocken Scheinarchitektur. Der Cyberspace von heute ist die Trompe-l’œil Malerei von gestern. Die computergestützten 3D-Simulationen sind die Renaissancemalerei von heute, selbstverständlich rein technisch gesprochen. Die virtuelle Informationsarchitektur ist eine Fortsetzung der barocken Scheinarchitektur. So wie in dieser die Unterscheidung zwischen Nähe und Ferne, zwischen Ferne, die nur gemalt ist und Nähe, die real ist, bzw. zwischen Nähe, die nur gemalt ist und Ferne, die real ist, schwierig ist, so haben vor allem die modernen Telekommunikationstechnologien das Ferne näher gerückt und das Nahe entfernt, also die Unterscheidung zwischen Nähe und Ferne beinahe aufgehoben. In zunehmenden Maße wird daher Weltbeobachtung durch Zeichenbeobachtung ersetzt, wie insgesamt die Medienwelt immer mehr die reale Welt überformt, durchdringt und konstruiert.
Diese geschilderten Auflösungsprozesse, z.B. der Grenzen zwischen Nähe und Ferne, zwischen realem Raum und virtuellen Raum, zwischen realer Welt und Zeichenwelt, führen auch formal zu einer Entgrenzung. Diese Entgrenzung wird in der Kunst des 20. Jahrhunderts seit langem auf doppelte Weise betrieben: entweder durch Entleerung des Bildes, von der Monochromie bis zum leeren Rahmen, oder durch Entrahmung, von der spatialen Malerei bis zum Ausstieg aus dem Bild. Moschik steht offensichtlich in der Tradition der Entleerung. Die Bildrahmen, die sie leer präsentiert, sind aber nicht die historischen Rahmen der Ölmalerei, sondern ähneln bei erster Annäherung Diarahmen und sind bei näherer Betrachtung die Frames von Benutzeroberflächen, von leeren Computerseiten. Sie präsentiert uns also leere Rahmen aus der Welt der Computer, genauer gesagt aus der Zeichenwelt der Computer. Moschik macht uns also auf mehrfache Weise durch ihre leeren Computerrahmen und durch den Spiegel jene Transformationen bewußt und deutlich, denen der reale Raum und unsere Erfahrung des realen Raumes, die bisher nur von den fünf natürlichen Sinnesorganen bestimmt war, durch das Entstehen virtueller, telematischer, nicht-lokaler Räume, die nur mehr mediatisiert, d.h. maschinen- und mediengestützt, erfahrbar werden, in der Informationsgesellschaft unterworfen sind.
Gerade das Treppenhaus des Palais Herberstein, das Gebäude der Neuen Galerie, bietet mit seinen barocken Deckengemälden die ideale Topografie für solche Überlegungen. Es spricht für Melitta Moschik, daß sie diese Option intelligent aufgegriffen und in eine künstlerische Reflexion präzise umgesetzt hat. Die drei Stufen – das Spiegelbild, barocke Bilder der Scheinarchitektur und leere vom Computer-Bildschirm abgeleitete Bildrahmen – werden als historische Abfolgen einer Technologie des Raumes interpretiert, welche die Grenzen und Blockaden des Raumes aufzuheben trachtet.
Peter Weibel