Werner Fenz
Kunst auch Andernorts

Textbeitrag zur Personalausstellung:
“Melitta Moschik – Random Access Information”
Finanzlandesdirektion Graz, November 1994

Die beiden Innenhöfe der zwischen 1902-1904 erbauten Finanzlandesdirektion für Steiermark bestimmen das Bauwerk sowohl auf seiner ästhetischen wie auf seiner Benutzerebene. In symmetrischer Anordnung werden sowohl im nördlichen wie im südlichen Hof die Zugänge zu den Amtsräumen am Rand der architektonischen Kubatur – über dem weitläufigen Parterreareal in dreigeschossigen Balustraden -rasterförmig hergestellt. Über Initiative des Präsidenten, Hofrat Wolfgang Pfungen, sollen diese beiden Orte des viel frequentierten Amtsgebäudes in loser Folge künstlerischen Realisationen zur Verfügung stehen.
Die Neue Galerie, zur Kooperation eingeladen, hat Melitta Moschik für den Beginn dieser Aktivitäten vorgeschlagen. Dies vor allem deshalb, weil dieser Künstlerin in ihrer gegenwärtigen Werkphase eine sowohl auf ästhetischer wie auf inhaltlicher Ebene eigenwillige ortsspezifische Anordnung zuzutrauen war. Eine Anordnung, die in diesem für eine künstlerische Präsentation ungewohnten Umfeld zunächst einen Dialog mit der ausgeprägten architektonischen Situation sucht. Da nur die Grundfläche des Hofes sinnvoll genutzt werden kann, waren wandgebundene Arbeiten von vornherein auszuschließen. Moschik konnte darüber hinaus ihr Werk “random access information”, es handelt sich von der äußeren Gestalt her nach klassischen begriffen um eine Reliefskulptur, in die Jahrhundertwende-Architektur in höchstem Maße integrieren. Das Defizit der Wandfläche scheint sie mit der Besetzung des innersten Bodenareals, des eigentlichen Hofrechtecks, auszugleichen. So, als würde sie die Vertikale in die Horizontale kippen, das Aufrechte auf das Liegende projizieren. Bestimmend für diese Installation ist aber nur auf den ersten Blick die um 90 Grad erfolgte Umkehrung des Trägers der lasergeschnittenen Stahlplatten. Schon die unmittelbar darauf folgende neue räumliche Orientierung zeigt, dass diese Arbeit von Anfang an in dieser räumlichen Situation als Bodenwerk konzipiert ist. Aus 96 Teilen zusammengesetzt fügt sie sich exakt in jenes Geviert ein, das von der angrenzenden dekorativen Struktur als bestimmendes Gliederungsmuster freigehalten wurde. Mit dieser präzisen Einrichtung von “random access information” innerhalb des vorgegebenen Flächenrasters scheinen nun zwei vom Material wie von der Struktur unterschiedliche dekorative Systeme aneinander zu stoßen. Das Auge der Künstlerin hat diese vorgegebenen ästhetischen Grundstrukturen mit sicherem Blick erkannt. Die Sensibilität in Bezug auf die Architektur und deren bestimmenden drei- wie auch zweidimensionalen Raster integrieren das Werk in einem Ausmaß, der letztendlich der inhaltlichen Dimension zugute kommt. Die einzelnen Formelemente entstammen nicht einem subjektiven Gestaltungsvorgang, der das kreative potential der Autorin im freien Spiel der Phantasie widerspiegelt, sie sind vielmehr – wie auch der Titel, eine Anlehnung an die grundsätzlichen Speicherkapazitäten, der Sprache der Informatik entnommen. Zusammengesetzt aus zwei Modulen in einer binären Codierung entsprechen die acht Module einer Reihe einem Buchstaben. Die gesamte Installation stellt den begriff “information” dar. In der vorliegenden Form direkt ablesbar für den Informatiker, übersetzt aber auch in der dichten, regelmäßigen und fraglos technoiden Formensprache für den Blick jedes Betrachters als Einzelelemente eines zusammenhängenden größeren Systems. Diese Veranschaulichung eines Systems ist für die beiden angesprochenen Informationsebenen, die der wissenschaftlichen und die der ästhetischen Kategorie von neuer Bedeutung: in der Materialsprache des Stahls und der strengen, folgerichtigen Anordnung der Einzelteile findet eine visuell eindrucksvolle Konglomeration statt. Es geht dabei um ein wesentliches Grundprinzip gegenwärtiger Kunst, nicht nur, aber vor allem auch im Kontext mit wissenschaftlichen und technischen Sachverhalten unsichtbares, das als Basis komplexer Systeme jedweder Art, im konkreten Fall das binäre System als Ausgangspunkt der künstlichen Intelligenz von Rechnern, dient, sichtbar zu machen. Das, was in dieser Installation als Vergrößerung von Chips anmutet, ist eine Materialisierung des Grundprinzips jedes hochtechnisierten Bauelements. In einer bewussten und gerade deshalb in hohem Maß irritativen Tautologie reproduziert sich das System exemplarisch: der aus der virtuellen in die Materialsprache übergeführte Informationsraster repräsentiert den zentralen Begriff.
In der räumlichen Übersetzung an diesem spezifischen Ort kehrt sich eine Anfangs vermutete Verfremdung in ihr Gegenteil um. Die alltägliche reale Betriebsamkeit kann als Folgewirkung der näheren Ortsbestimmung, Informationsspeicher mit intensivem Informationsaustausch, erkannt werden. Melitta Moschik hat dazu über die bestehende Grundkonzeption ihrer arbeit einen weiteren gut ablesbaren Annäherungswert eingebracht. Mit der an die bestehende dekorative Ausstattung direkt herangeführten Bodeninstallation aktiviert sie den affirmativen Raster und bezieht diesen als Konstante in ihre temporäre Intervention ein. Plötzlich entstehen auf einer vergleichbaren Ebene Schnittstellen zwischen dem Bestehenden und dem Eingefügten; das Fußbodenmosaik scheint über die dekorative Zeichensprache hinaus aufgeladen. Aufgeladen als Raster täglicher Informationsschnittstellen. Bewusst stellt sich die Frage nach einer möglichen Codierung bestimmter architektonischer Details. Das Dekorum verliert während der Anwesenheit der mit künstlerischen Mitteln vorgenommenen Bezeichnung seine unscheinbare Neutralität. Ss rückt als Erweiterung des Kunstwerks ins Bewusstsein, nicht ohne, zumindest vorübergehend, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber über den Zeitraum der Einrichtung der Bodenskulptur hinaus, mit einen neuen Parameter visuell und geistig vermessen zu werden: die Skulptur wirkt über ihre eigentliche Begrenzung hinaus.

Mit diesem Ansatz vermag Melitta Moschik auch eine relevante künstlerische Zeitspur auszulegen. Sie bezieht den Wirkungsradius von Kunst auch andernorts, räumlich wie vom Stellenwert her, mit ein.
Werner Fenz