Werner Fenz
USER INTERFACES in referentieller Kontiguität

Textbeitrag zur Personalausstellung:
“Melitta Moschik USER INTERFACES, Galerie Mayreder Bau, Mai 2003

Die Werkgruppen, die Melitta Moschik in den letzten fünf bis sechs Jahren entwickelte, wenden sich unmittelbar an den „Benutzer“, an den Menschen in der Informationsgesellschaft also und an ein allgegenwärtiges, die ästhetische Wahrnehmung bestimmendes Design. Damit bildet sich ein explizit referentielles Verhalten ab: Kunst kreiert nicht neue Welten oder gar „Gegenwelten“ in Form von grenzenlosen Erfindungen, sie ortet und verortet scheinbar einfache Sachverhalte, nicht ohne deren Bedeutung innerhalb zunehmend bestimmender Eindrücke von gebräuchlichen Kommunikationsoberflächen freizulegen.
Mit der Bearbeitung dieses Themas reiht sich Moschik in eine internationale, avancierte künstlerische Strategie ein, die sich mit Funktions- und Repräsentationsmustern einer an Bildern und Zeichen orientierten Gesellschaft auseinandersetzt. Schon ab der Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zeichnete sich eine Entwicklung ab, die als Re-Kontextualisierung weiter zurückliegende wie auch Konzeptionen der 1970er Jahre ausbaute und neu formatierte. Diese Ergebnisse stehen im Zusammenhang mit dem entscheidenden Paradigmenwechsel, künstlerische Positionen in einem unter der gesellschaftspolitischen Prämisse beobachteten Lebensraums einzunehmen. Visionen und Utopien treten zugunsten sorgfältiger Recherche über die Funktion von Systemen, die Auswirkungen von eingeübten Strukturen und die unterschiedlichsten Kommunikationskanäle in den Hintergrund. Neben einer immer stärker in den Vordergrund gerückten mit dokumentarischen Werkzeugen operierenden Komponente, die sich als Konzentration auf der documenta XI eindrucksvoll manifestierte, richtet sich der Blick vielfach auch auf die in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens wirksamen Bildoberflächen und deren quantitative und qualitative Bedeutung.
Der Ausbau von Datenstrukturen und ästhetischen Werkzeugen ihrer Handhabung veränderte das Weltbild in einer Art und Weise, die noch vor wenigen Jahrzehnten für unvorstellbar gehalten worden wäre. Meist ist ausschließlich von den wissenschaftlich-technischen Erfindungen und Erneuerungen die Rede, kaum von deren unmittelbarer Nachfolgewirkung auf den aktiven User, der wie selbstverständlich den passiven Betrachter ablöste. Widmet man sich derart radikal veränderten Konstellationen, dann betrifft das sowohl den theoretischen als auch den ästhetischen Aspekt eines kaum mehr als solches registrierten Phänomens, weil es längst von den Gewohnheiten eines Handlungs-Spiel-Raums absorbiert wurde. Bei näherer Betrachtung unter der Prämisse daraus künstlerische Gestaltungsmuster abzuleiten, besteht zunächst einmal die Notwendigkeit einer neuen Begriffsdefinition der in diesem Bereich scheinbar ebenso in Erscheinung tretenden Abstraktion, die jede Bildkunst grundsätzlich, im speziellen seit der Klassischen Moderne bestimmt. Da es sich bei den kommerziellen User Interfaces a priori um künstliche Welten handelt, kann nicht ein bekanntes Objekt im weitesten Sinn als Ausgangspunkt abstrahierender Tendenzen dienen. Viel eher müssen auch traditionelle „Verkürzungen“ von Darstellungen sowie Erfindungen von Zeichensystemen wie Pläne oder Landkarten als in etwa kompatibles Ausgangsmaterial herangezogen werden. Mit anderen Worten: Die Möglichkeiten zu reflektieren, den Abbildungsvorgang – auf welcher Ebene er auch immer angesiedelt werden kann – durch die Formfindung eines Schemas bzw. durch einen Kommentar zu einer schematischen Grammatik der Zeichen zu ersetzen. Immer wieder beziehen sich Vermittlungsaktivitäten im Bereich abstrahierender oder abstrakter Bildsprachen im Kunstbereich auf den Erfindungsreichtum konventioneller Schemata wie beispielsweise die Höhenlinien und Wegmarkierungen in Wanderkarten, mit der Absicht, einerseits für die Freiheit der nicht gebundenen Formen zu argumentieren, andererseits für die Einübung und Erlernbarkeit von Informationschiffren. Wie gering ein reflektierendes Bewusstsein für drastisch veränderte Oberflächen ausgebildet ist, zeigt sich nicht erst bei der Nachfrage nach den ästhetischen Eindrücken von einem eben in Besitz genommenen neuen Handy-Display. Gute Lesbarkeit und funktionelle Anordnung einer ins Sichtbare gewendeten Menüführung sind die häufigsten Beurteilungskriterien. Und dennoch bestimmen weit darüber hinaus Bild-, Text- und Farbkombinationen sowie spezifische formale Anordnungen in vielen weiteren Bereichen wie auf Flughäfen, Bahnstationen, Tram-Haltestellen, ganz abgesehen von den komplexeren Oberflächen der Online-Nachrichten, der Internetseiten und der Homepages unbewusst die Wahrnehmung in den heute weit verzweigten öffentlichen Räumen . Schon seit vielen Jahren haben die üblichen Stadtmöblierungen Konkurrenz in der Aufmerksamkeit durch digitale Bildtexte erhalten.
Die User Interfaces von Melitta Moschik steuern eine neue, wenn auch nur minimal veränderte – so scheint es – Dimension an. Als Ausgangspunkt dient ein Darstellungsschema, das eine möglichst übersichtliche Orientierung zum Ziel hat. Seien es die Tabellen im Beschaffungsamt der Stadt Graz (1997), die Stadtpläne von Klagenfurt, Wien und Graz (1999) oder die Subway-Nets von New York, London und Wien (2002/2003). Sie alle folgen den ausgewählten Vorlagen, wenn auch unter verschiedenen optischen wie inhaltlichen Gesichtspunkten. A 20 / Update vernetzte eine analoge Ausstellung mit einer digitalen Installation im Internet, wobei das Material der Registratur einer Magistratsabteilung entnommen war und sich in der tabellarischen Grundformation auf einen spezifischeren, wenngleich darüber hinausreichenden Kontext konzentrierte als in den folgenden User Interfaces. In jedem Fall aber unterscheidet sich das künstlerische Produkt durch ein „Informationsdefizit“: Konkrete Daten wie Produktlisten, Straßennamen oder Haltestellen und Liniennummern bleiben ausgespart. Sichtbar wird – und das in verstärktem Ausmaß – eine in traditioneller Terminologie als grafisches Muster zu bezeichnende Gestaltungsform: Tatsächlich handelt es sich um ein in neuer Form wiedergegebenes Informationskonzentrat. Erst über den Titel erfolgt die dem Ausgangspunkt entsprechende Verortung. Es wäre zu kurz gegriffen, die entstandenen Objekte nur über die Strategie der partiellen Absenz von Nachrichten – die Reduktion der „ganzen Wahrheit“ – als Kunstwerk zu definieren. Einen wesentlichen Anteil am künstlerischen Prozess, der auch als systemkritischer Verlagerungsprozess bezeichnet werden kann, nimmt die Umsetzung in neue Materialien ein. Diese – sandgestrahltes Glas / Spiegelglas in den User Interfaces 01-06 und lasergeschnittener Chrom-Nickel-Stahl in den User Interfaces NY, W und L – führen die Oberflächen der Zeichensysteme in unterschiedliche gestalthaft räumliche Dimensionen. So reflektiert der Spiegelkasten mit dem Stadtplan den Umraum, über den von jenen Koordinaten aus, die der sich bewegende Betrachter „bespielen“ kann, ein dem Spinnennetz ähnliches Muster gelegt scheint. Eine zweite, in diesem Zusammenhang ebenso bedeutende Reflexionsebene betrifft den Datenraum, auch wenn er nicht über die geläufigen Masken und Bildfenster unmittelbar zitiert erscheint. Paradigmatisch rückt er jedoch über die entindividualisierte Informationsoberfläche ins Bewusstsein. Wenn wir diese Verbindung herzustellen bereit sind, eröffnet sich eine scheinbar widersprüchliche Polarität: In den Bildkästen findet eine Lokalisierung unbegrenzter globaler Weite statt. Eine Mehrschichtigkeit und eine raumgreifende Durchdringung signalisieren, dass unsere Raumerfahrung seit geraumer Zeit einer drastischen Veränderung unterliegt. Wir haben uns in realen wie in virtuellen Räumen zurechtzufinden. In diesem Sinn markiert das „durchlässige“ Kunstobjekt – dem Anschein nach klassischen Gestaltungsmustern folgend – eine zentrale Schnittstelle eines gegenwärtig entscheidenden Erlebnisbereiches. Die Subway-Lineamente aus den User Interfaces NY, W und L liegen als Stege frei im Rahmen, sind als skulpturale Schablonen konfiguriert und beziehen dadurch die Wand als räumlich zurücktretende Projektionsfläche mit ein. Diese formale Entscheidung thematisiert vom zentralen Kontext aus einerseits einen im Aufbruch befindlichen und daher aus seiner Erstarrung befreiten Bildbegriff, bindet diesen andererseits auf genuine Weise in die Thematik der Interfaces ein. Dadurch erweitert sich das einfache Bildlogo zum komplexen Informationslogo mit dem Ziel, infolge der Isolierung und materiellen Festschreibung die Oberflächen nicht abzubilden, sie auch nicht zu symbolisieren, sondern eine referentielle Kontiguität, eine an die Metonymie heran reichende Ordnung herzustellen. Von dieser Basis aus fokussieren die User Interfaces mit ihren künstlerischen wie medientheoretischen Grundlagen nicht unmittelbar High-Tech-Systeme. Anhand analoger Varianten der Besucherinformation markieren sie dennoch exemplarisch aktuelle Fenster der Informationsgesellschaft, greifen deren charakteristische Merkmale auf – die Ausbildung verbindlicher Kürzel als heute weitgehend bestimmenden ästhetischen Fundus, auf den die künstlerische Zeichensetzung in konzeptueller und formaler Gestaltung reagiert.
Werner Fenz