Katalogbeitrag zur Ausstellung
Melitta Moschik A20 UPDATE
Beschaffungsamt, Magistrat der Stadt Graz
April 1997
A sign, or representation, is something which stands to somebody for something in some respect or capacity.
(Charles Sanders Peirce, How to make our ideas clear, 1878)
Das Material fuer Melitta Moschiks neuesten Werkblock user interface liefert das Beschaffungsamt A 20 des Magistrates Graz. Ein normalerweise nicht im Sortiment des Amtes befindliches Angebot, denn dessen ureigenste Funktion, wie das noch aus Gruendungszeiten stammende Vokabel Beschaffung verraet, liegt in der Proviantung der in der Stadtverwaltung taetigen Aemter. Dass die Versorgung der Verwaltung ebenso eine Aufgabe ist, die besonderer Verwaltungsmechanismen bedarf, dass Information oft erst selektiert, strukturiert oder systematisiert werden muss um benutzbar zu sein, darauf verweisen die Arbeiten Melitta Moschiks, die die PC-Routine der dortigen MitarbeiterInnen in einem neuen Rahmen praesentieren, in dem der Kunst.
In der Serie user interface werden Bildschirmansichten des vom Beschaffungsamt benutzten Datenverwaltungssystemes zum Ausgangspunkt genommen. Es geht, wie auch in Melitta Moschiks anderen Arbeiten, um die grundsaetzliche Frage der graphischen Repraesentationsmoeglichkeit von Datenkonvoluten. Im Bereich der digitalen Anwendung durch den Computer wird das Display von Masken besetzt, die die Softwaresysteme moeglichst funktional visualisieren sollen, d.h. bestmoegliche Bedienerfreundlichkeit, also leichte Handhabung bei maximaler Effizienz zu gewaehrleisten; ein relativ neues Anwendungsgebiet des Designs eroeffnet sich. Moschik schaelt die sekundaeren Elemente, die urspruenglich nur als Raster gedacht waren und gleichsam als Folie den Hintergrund bildeten, oder die die unterstuetzend die Funktion der Markierung haben um den Bearbeitungsprozess zu ermoeglich, aus der Oberflaeche heraus und entleert sie bis der eigentliche Informationsgehalt voellig unkenntlich wird und verschwindet. Uebrig bleibt ein subtrahiertes lineares Grundgeruest, das sich jeder Lesbarkeit entziehend das Abwesende betont. Es kann durch die entstandene Funktionslosigkeit nur mehr im Kunstbereich funktionieren, wo es nicht mehr um die Repraesentation der wirklichen Welt geht, sondern seit den telematischen Erfindungen die Ordnung der Zeichen losgeloest von den Dingen existiert. Die aesthetische Qualitaet steht nunmehr im Vordergrund, ganz im Gegensatz zur Pragmatik in der frueheren Anwendung. Die vielschichtige Informationsverarbeitung im digitalen Bereich, die sich durch hierarchische Anordnung von Begriffsebenen auszeichnet, wird ins zweidimensionale der klassischen bildenden Kunst rueckueberfuehrt und gleichzeitig auf die Grundeinheit, den binaeren Code von 0 und 1 reduziert, angezeigt durch ein duales Farbsystem.
Graphische Schemata wie tabellarische Ordnungen, und die Statistik sind effziente Moeglichkeiten, die bereits vor der Entwicklung des Computers eingesetzt wurden, wie die bekannte durch den Sozialisten Otto Neurath 1925 begruendete Wiener Methode der Bildstatistik zur Aufbereitung von Gesellschafts- und Wirtschaftsdaten in Form von sogenannten Isotypen (iso=gleich). Gleiche Inhalte werden also durch immer dieselbe Figur ausgedrueckt, Mengenverhaeltnisse werden durch Wiederholung dargestellt, nicht durch deren Vergroesserung. Das Ziel dieser Art der Aufbereitung war Aufklaerung, Information und Erziehung, also eine Form der Bildpaedagogik, die davon ausgeht, dass Informationen auf visuelle Grundtypen reduziert, leichter erfasst werden koennen. Logos, Piktogramme allgemein, als tragende Marktstrategie einer internationalisierten Konsum- und Warenwelt, die gerade deswegen verstaerkt auf corporate identity durch graphic design angewiesen ist, aktualisieren diese Annahme. Bildstatistiken boten fuer Melitta Moschiks letzte grosse Werkserie, in denen das binaere System durch geschlechtsneutrale „Maennchen“ zweifarbig repraesentiert wurde, das Ausgangsmaterial um „ihre“ Piktogramme zu generieren, die zu keinerlei Realdaten mehr in Beziehung standen und sich so selbst ihrer Grundlage beraubten. Dieselbe Grundueberlegung wird in den user interfaces konsequent weiterentwickelt, naemlich wie im Fall des Amtes aus einem Verwaltungsbedarf heraus, Objekte uerhaupt durch formale Systeme repraesentiert werden koennen. Damit wird eine Grundproblem der abendlaendischen Philosophie gestreift, das von Plato und Aristoteles bis zum sog. Universalienstreit in der Scholastik die Denker bewegt hat, naemlich wie Allgemein-und Individualbegriffe sich zur Realitaet verhalten.
men-machine-interface als Begriffstrio markierte Anfang der 70er Jahre einen neuen Umgang mit Kunst, angesichts der digitalen Revolution, die die Welt in Ja-Nein Entscheidungen zerlegte. Die Kunst, die sich aber nicht so ohne weiteres in ihre Bausteine zerlegen liess, und damit zum Ausbau der Kommunikationstheorie fuehrte, musste letztlich wieder auf ihre „Bedeutung“ hin untersucht werden. Dem Informationsbegriff, von C. E. Shannon 1948 als mathematisches Problem formuliert, der aus der immateriellen Nachrichtenuebermittlung der Telegrafie heraus entstand, und der daraus folgenden Theorie der Kommunikation, kommt auch bei Melitta Moschik zentrale Bedeutung zu. Telekommunikation und Visuelle Kommunikation, als Bestrebung des Kunstunterrichtes in den 70er Jahren, den „optischen Massenmedien“ gesellschaftliche Relevanz zuzuerkennen und sie in das Fach zu integrieren, sind die Bereiche in denen Kunst heute lieber denn je operiert.
Aus den Erweiterungen der Gegenstandsfelder der Kunst, die vor allem durch den Einsatz des Computers stimuliert wurde, hat sich bei Melitta Moschik das Schnittstellen-Prinzip (Beobachter-Medium) als bevorzugt herauskristallisiert. Der Verspiegelungseffekt der Arbeiten, durch den der Beobachter physisch miteinbezogen wird, visualisiert diesen Bezug am direktesten. Die Benutzeroberflaeche-das Interface-ist die Trennungslinie zwischen zwei Welten, die zwei vom Menschen konstruierte Realitaeten darstellen, das Gehirn als informationsverarbeitendes System und das, was nach dessen Vorbild auf die Computertechnologie angewandt wird. Dem philosophischen Konstruktivismus eines Ernst von Glasersfeld oder Paul Watzlawick begegnet der Begriff der Kybernetik eines Norbert Wiener oder Heinz von Foersters, die rekursiv den Menschen als vielschichtiges Gebilde aus neben- und uebergeordneten Regelkreisen verstehen. Einer dieser Regelkreise findet Melitta Moschiks besonderes Interesse, der der Rationalitaet. Diese Bewaeltigungsversuche der Natur durch den Verstand finden in der Mathematik Platz, die versucht, Schemata zu entwickeln und Denkprozesse zu formalisieren. Die diskrete Mathematik, die sich als Strukturlehre mit unterscheidbaren, genau definierten Zustaenden und ihren kombinatorischen Sachverhalten, wie sie im Computer vorkommen, auseinandersetzt, ist das Gebiet auf dem Melitta Moschik arbeitet. Mathematische Vorgaenge werden nicht auf den Produktionsprozess von Kunst angewandt, sondern deren aesthetisches Potential wird ausgelotet. Durch Moschiks Arbeiten lernt man auch in der visualisierten Form mathematisch zu denken.
Die Vorlagen, die zum Endstadium „Bild“ der user interfaces gefuehrt haben, werden in einer von Melitta Moschik angelegten Home-Page des Beschaffungsamtes praesentiert, nebst einem zusaetzlichen Informationspaket an Realdaten ueber die Arbeit des Amtes A 20 selbst.