Mittels ihrer Arbeiten verhandelt Melitta Moschik Fragen um Ästhetik und Repräsentation von Wirklichkeit an Themenfeldern der Naturwissenschaften und Soziologie.
Zu einer Ausstellung im Klagenfurter Robert-Musil-Literatur-Museum zur Jahreswende 2014/15 wählte Melitta Moschik ein Titelzitat für ihre zentrale Installation. Ein Text in Musils 1936 erschienenen Essayband „Nachlaß zu Lebzeiten” ist überschrieben mit „Hier ist es schön”. Darin behandelt der Autor die Praxis des Schreibens und Versendens von Ansichtskarten, die „in der ganzen Welt einander ähnlich” sehen. „Sie sind koloriert; die Bäume und Wiesen giftgrün, der Himmel pfaublau, die Felsen sind grau und rot, die Häuser haben ein geradezu schmerzendes Relief, als könnten sie jeden Augenblick aus der Fassade fahren; und so eifrig ist die Farbe, daß sie gewöhnlich auch noch auf der anderen Seite ihrer Kontur als schmaler Streif mitläuft. Wenn die Welt so aussähe, könnte man wirklich nichts Besseres tun, als ihr eine Marke aufzukleben und sie in den nächsten Kasten zu werfen.”
Wirklichkeit und ihre Wiedergabe
Eigentlich reißt Musil mit diesem Satz das auch für die bildende Kunst relevante Problem von Wirklichkeit und dem Wirklichkeitscharakter ihrer Wiedergabe respektive Abbildung an.
Auf diesen Essay reagiert Melitta Moschik auf einer Metaebene, indem sie den plastischen, in schwarzem Acrylglas ausgeführten Schriftzug „Hier ist es schön” mit zwei an die Wand gelehnten schwarzen Aluminiumleisten räumlich begrenzt. Am Ort des Musil-Museums erscheint diese Arbeit freilich „maßgeschneidert”, wie es Museumsleiter Heimo Strempfl in seiner Begleitschrift zur Ausstellung formuliert, zudem geht mit dieser mehrteiligen Plastik und der glänzend schwarzen Oberfläche allerdings eine gewisse Spannung bezüglich der bei Musil erwähnten „eifrig[en] Farbe” der nachkolorierten Ansichtskarten einher. Material und Form der Plastik entsprechen einer gegenwärtigen Ästhetik wie sie allenthalben an der Hardware unserer Kommunikationsgeräte gebräuchlich ist. Mit Bezug auf Musils Werk wäre Moschiks „Hier ist es schön” ein Verweis auf Fragen der Interpretation zu einer gewissen Zeit. Dieselbe Plastik im anderen Umfeld – wie in der Grazer Galerie Zimmermann Kratochwill im Sommer 2015 – wirkt einerseits selbstreferenziell, wird darüber hinaus, und abseits des Bezuges zu Musil, aber auch zur provokanten Behauptung, den Ort der Installation betreffend respektive wird damit ein Begriff ins Spiel gebracht, der mit Einsetzen der Moderne aufgrund seiner Unfassbarkeit eigentlich aus dem Kunstdiskurs verbannt wurde: die Schönheit.
„Touching Reality”
Erstmals wurde im Musil-Museum auch eine dreiteilige Plastik präsentiert, die nun ganz offensichtlich die Form und Materialqualität von Smartphones übernimmt. Maßstabgetreu, aber in den Proportionen vergrößert, nennt Moschik diese Arbeit „Touching Reality”, wobei auf dem „Display” des mittleren Objekts „Berührung der Wirklichkeit” zu lesen ist. Damit ist ein interpretatorisches Spiel eröffnet, das vom zunehmenden Gebrauch digitaler Kommunikationsmedien handelt, die wir per Touchscreen bedienen – eine Schnittstelle zwischen Mensch und Informationstransporter – , über die wir Nachrichten aus der „wirklichen” Welt empfangen und die nun selbst, denkt man an Jean Baudrillards „Simulakren”, in einem fragwürdigen Bereich zwischen Wirklichkeit und ihrer Vermittlung über Zeichen stehen. Dementsprechend könnte der englische Titel „Touching Reality” als „Wirklichkeit, die berührt” übersetzt werden beziehungsweise als Frage, die Handlung des Users beschreibend: Berühren wir auch „die Wirklichkeit”, wenn wir mittels solcher Schnittstellen kommunizieren?
In Bilder gefasste Verweissysteme
1960 in Villach geboren, studierte Melitta Moschik Mathematik und Physik an der Grazer Karl-Franzens-Universität. Als bildende Künstlerin setzt sie sich in ihren konzeptuellen Arbeiten seit 1991 mit Fragen der Wahrnehmung und Repräsentation von Wirklichkeit auseinander, wobei sie immer wieder soziokulturelle und mediale Phänomene beziehungsweise Themenbereiche der Naturwissenschaft einbezieht.
Nicht zuletzt aus dem Gebrauch der Neuen Medien müsste man immerhin vermuten, dass wir uns zusehends an Bildern und Zeichen, wenn nicht an Piktogrammen orientieren, was Vilém Flusser in seinen kritischen Ausführungen um die „technischen Bilder” in einer „telematischen Gesellschaft” schon in den 1980er Jahren thematisierte. Wie die in mehrfachem Sinn ins Bild gesetzte These mutet eine weitere Arbeit Melitta Moschiks für die Musil-Ausstellung an. Im Blickfeld einer Vitrine mit originalen Reisekoffern von Martha und Robert Musil nehmen zwei schwarze Acrylobjekte die Silhouette eines der Koffer auf, in weißen Lettern darauf die von Musil selbst verwendete Sigle „M.o.E.” für „Der Mann ohne Eigenschaften”. Diese „Marke”, „inzwischen nahezu ident … mit dem Namen des Autors” (Heimo Strempfl), und die zwei Acrylformen (zwei Bände des Romans) erinnern aber auch frappant an das Piktogramm für „Ordner” in dem digitale Inhalte abgelegt werden. Wieder entsteht so ein ins Bild gefasstes Verweissystem zwischen, wie es Strempfl formuliert, dem „evozierten Raum der Historie … und einer zeitgenössischen Interpretation der Literaturgeschichte, die mit den Mitteln der bildenden Kunst erfolgt”.
Trügende Erinnerung
Eine seit 2013 entwickelte Serie trägt den Titel „Screen Burn”. Historische Ereignisse, die sich als Bilder inzwischen ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben, sind zuhauf im Internet zu finden. Die „Mushroom Clouds”, wie Journalisten die Fotografien der Explosionen nach Abwurf der Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima vor 70 Jahren nannten, überträgt Moschik vom digitalen Pixel-Bild in eine analoge Form aus Punktrastern, die in schwarze Stahlpanele gestanzt sind. Entsprechend heller und dunkler Bildareale variieren die Durchmesser der Stanzungen. Es entsteht so jeweils ein Bild, das zur Gänze eigentlich über die Leerstellen auf dem Bildträger erfasst wird. Durch Bewegung des Auges erscheint allerdings auch der Bildinhalt bewegt beziehungsweise scheint das Bild im Moiré-Effekt zu flirren, wirkt durch Bewegung des Betrachters stellenweise scharf und wieder unscharf. In Assoziation zur trügenden Erinnerung erweisen sich solche Bilder von Bildern, auch am Motiv der Anschläge auf das World Trade Center, gewissermaßen uneindeutig.
Neben inzwischen zahlreichen Arbeiten im öffentlichen oder teils öffentlichen Raum in Österreich bestehen beispielsweise in Graz die „Urbane Schnittstelle” (2000) im Kreuzungsbereich nah dem Lendplatz, der „Uhrturmzeiger” (2004) auf dem Domenig-Center am Murkai oder die interaktive Installation „Farbraum” (2008) im Aufgang zur Universitäts-Augenklinik am LKH.
Mit ihrem Konzept zu einer Gedenktafel für die NS-Opfer im Burggebäude Klagenfurt konnte Melitta Moschik im Vorjahr einen offenen Wettbewerb des Landes Kärnten für sich entscheiden. Eine schwarz lackierte Metallscheibe mit 150 Zentimetern Durchmesser wurde im Mai 2015 im Arkadenhof der Burg installiert. Die glänzend schwarze Oberfläche der Scheibe ist durch einen horizontal gravierten Balken aufgebrochen, der sich erst aus näherer Sicht als Text erweist. Formal erinnert das Objekt mit dem Arbeitstitel SIGNUM an ein Verbotsschild. Auf Deutsch und Slowenisch zu lesen ist:
„In diesem Gebäude war in den Jahren 1938-1945 der Sitz der geheimen Staatspolizei. Hier wurden Menschen aufgrund ihrer Weltanschauung, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihres Widerstands gegen die NS-Gewaltherrschaft gefoltert.
Das Unrecht, das sie erlitten haben, sei uns Mahnung und Auftrag im gemeinsamen Ringen um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.”
Wenzel Mraček
August 2015